6 Tjani / Koowu
Bis zur dritten Wache flog Tjani nach Osten. Es war eine große Leistung, sogar für eine ausgewachsene Koowu-Jägerin, die ganze Nacht ohne größere Pausen zu fliegen. Normalerweise jagte der Eulenschlag nur über kurze Strecken; geduldig wartete man auf einem Baum oder einer Anhöhe, bis man das gewünschte Wildtier erspäht hatte und es nah genug heran gekommen war. Dann, mit einem plötzlichen Ruck, wurde die Beute gepackt und getötet. Ein stundenlanges, nächtelanges Fliegen wurde von den Koowu nicht trainiert; Tjani hätte vermutlich verständnisloses Stirnrunzeln geerntet, hätte sie von ihrem Können erzählt. Dennoch war sie stolz auf sich.
Auf meinen Körper kann ich mich verlassen.
Bevor die Sonne erneut aufging, suchte sich Tjani einen sicheren Schlafplatz in den unteren Zweigen einer mächtigen Kiefer. Sie mochte den Geruch des Kiefernharzes sehr gern, und die breite Krone des Baums schützte sie vor den nicht enden wollenden Schneeschauern.
Soviel Schnee im ersten Frühlingsvollmond… nunja. Zwei Dinge konnte man nicht ändern : Das Wetter und das Jagdglück – sagte zumindest ein altes Sprichwort der Koowu.
Tjani blinkerte mit den müden Augen und kuschelte sich zusammen.
Und den Tod… den kann man auch nicht ändern. Er kommt in vielerlei Gestalt, aber das Ergebnis ist immer dasselbe….
Irgendwie hatte dieser Gedanke etwas seltsam tröstliches. Irgendwann, irgendwie ist alles vorbei. Das Herz schlägt nicht mehr, das Blut pulsiert nicht mehr in den Adern, und die Luft pfeift nicht mehr durch die Lungen, aus und ein. Und was kommt dann? Eine ganz besondere Art von Stille, nehme ich an.