6 Anan-Re / Jadeira
Es dauerte gar nicht lange, da weckte Moaris wütendes Brüllen auch diejenigen Jadeira, die in den Nachbarzelten schliefen. Wer schon wach und nicht mehr betrunken genug war, versammelte sich nach und nach vor dem Ratszelt, die Ohren neugierig gespitzt.
Während auf diese Art und Weise bald schon die ersten Gerüchte umliefen, trabte Anan zwischen den Zelten hinaus in Richtung des Palmenwäldchens.
Die Wut war ihr in die Glieder gefahren, sie wollte rennen und kämpfen. Gleichzeitig hatte sie halb den Gedanken, Kimar zu wecken und sich bei ihm gründlich über diese Prophezeiung und ihren offensichtlich verrückten Großvater zu beschweren.
So kam es, dass keiner von den Jadeira bemerkte, was sich ihrer Zeltstadt näherte – bis es bereits zu spät war.
Tatsächlich schlief Kimar noch, als Anan das Palmenwäldchen wutschnaubend wieder betrat – aber natürlich nicht mehr lange. Anans aufgebrachtes Gebrüll und ihr wütendes Fauchen bedeuteten für jedes schwächere Wesen in weitem Umkreis tödliche Gefahr, so dass es entlang ihres Weges raschelte und zischelte, als sich alles in Sicherheit zu bringen versuchte.
Mit dem untrüglichen Instinkt des geborenen Jägers erwachte Kimar von dem Geräusch der Fliehenden, rieb sich die Augen und blinzelte sich gerade noch rechtzeitig den Schlaf aus den Augen, bevor eine äußerst ungehaltene Anan auf ihn zugestürzt kam.
Zufrieden musterte er das geschmeidige Spiel ihrer Muskeln unter dem kurzen sandfarbenen Fell und die dunkel glänzende, feste Haut ihrer Brüste – seine Gespielin in dieser vergangenen Nacht hatte wirklich seine ganze Aufmerksamkeit verdient.
Doch warum war ihr Gesicht so düster? Hatte sie die Nacht nicht genauso genossen wie er? Hastig sah er sich nach ihrem Vater oder den Ältesten um, die ihr vielleicht auf dem Fuße folgten.
Doch es war niemand anders zu sehen; ringsumher schützte sie beide das flirrende Palmendickicht vor der erwachenden Sonne und jeder anderen unerwünschten Aufmerksamkeit.
Es dauerte eine Weile, bis er seiner Geliebten eine klare Antwort und eine Erklärung entlockt hatte, die er auch verstehen konnte. Dann begann er das einzig sinnvolle – Anan vorsichtig zu beruhigen; auch wenn es ihm wie der Versuch schien, einen Sandsturm daran hindern zu wollen, über die Zelte hinwegzufegen.
Schließlich zeigten seine ruhigen Worte und zärtlichen Berührungen die gewünschte Wirkung. Er würde mit ihr fort gehen, wenn es wirklich nötig werden sollte, versprach er ihr; natürlich würde er mit den Ältesten und mit Kowa‘ Moari sprechen und ebenfalls darlegen, dass solch eine unsinnige alte Prophezeiung unmöglich auf Anan zutreffen konnte und es überhaupt keinen handfesten Grund gab, sie fort zu schicken, noch dazu womöglich allein.
Er könnte sich vorstellen, dass Anans Großvater gestern Abend ein wenig zu viel gefeiert habe, behauptete er, und auch, dass er vielleicht mit dem Kopf im Sand geschlafen und ihm ein Käfer mit dieser komischen Idee durchs Ohr hindurch gekrochen sei. Dies entlockte Anan zumindest ein schiefes Grinsen.
Auch seine Streicheleien zeigten eine Wirkung – jedoch nicht so sehr bei ihr, sondern viel eher bei ihm selbst. Vorsichtig, um die reißende Bestie in Anans Innern nicht erneut zu wecken, begannen seine Finger, die weiche, empfindliche Übergangszone zwischen dunkler Haut und hellem Fell zu liebkosen, wanderten dann über ihren Rippenbogen empor, vermieden – es war noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür, leider – die wunderschönen Brüste und fanden schließlich die Schultern und den leuchtenden Hals, in den er so gerne hinein gebissen hatte. Auf Vorsicht bedacht, zog er sie näher, bis er ihr einen flüsterzarten Kuss geben und in ihren großen, braunen Augen lesen konnte.
Er würde sie beschützen, versprach er ihr, und wenn es nötig sei, würde er nicht selbst als Krieger ausziehen, um sich einen Namen zu machen, sondern erst bei Kowa‘ Moari um ihre Hand anhalten und sich später ihren Brautpreis verdienen, irgendwie. Kimar war sich nicht so sicher, ob er damit nicht log – Moari würde ebenso wenig wie jeder andere Vater einen mittellosen Schwiegersohn mit Freuden begrüßen, und er war noch dazu der Kowa‘ der Jadeira – aber allein ihr wohliges Schnurren bei dieser Schmeichelei brachte ihn schon halb um den Verstand. Natürlich würde er sich irgendwie einen Namen machen müssen; aber Anans Erzählung hatte so unglaubwürdig geklungen, dass er sicher irgendeinen Ausweg für sie beide finden konnte, der es ihm erlaubte, dieses halbherzige Versprechen auszuhebeln. Niemand schickte eine gute Jägerin fort wegen eines uralten Liedes. Niemand, der noch bei klarem Verstand war, konnte eine Frau fortschicken, die so lockende Rundungen hatte wie Anan, ihre Hüfte so geschmeidig kreisen lassen konnte und solch einen wundervollen Hals hatte wie der, in den er gerade biss…
Erneut raschelten die alten, grauen Palmwedel rings um das Lager von Kimar und Anan, aufgescheucht von ihren rhythmischen Bewegungen. Soweit es diese beiden betraf, hätte im Moment auch eine ganze Elefantenherde direkt an ihrem Versteck vorbeiziehen können – sie hätten es nicht gehört.