3 Anan-Re / Jadeira
Als seien sie durch den Gesang und die Freudenschreie der Frauen hervorgelockt worden, traten nun auch die Männer ans große Feuer. Die allermeisten waren ebenfalls fein gemacht, die muskulösen Oberkörper mit glänzendem Öl bestrichen, die langen braunen Mähnenhaare in kunstvolle Zöpfe geflochten und die gelbbraunen Felle ordentlich gebürstet und ausgekämmt.
Alle Jadeira trugen soviel Schmuck, wie sie sich leisten konnten, und die traditionellen Faytwa, kleine, gekrümmte Jagddolche, an fein verzierten Riemen an ihrer Hüfte. Die grünen und gelben Augenpaare glommen im Schein des Feuers auf und erloschen wieder, wenn das Licht sich in den geschlitzten Katzenaugen der Jadeira spiegelte.
Der Gesang der Frauen wurde leiser, erwartungsvoller, und schließlich trat Maror, der Älteste der Jadeira und Anans Großvater, in die Mitte der Dorfgemeinschaft. Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein mächtiges, donnerndes Brüllen aus, das allen Jadeira Jubel entlockte. Moari, sein jüngerer Sohn, hielt sich dicht neben ihm und sah stolz zu seiner Tochter herüber.
„Meine Tochter ist heute Abend Anan-re, Jägerin der Jadeira!“ rief Moari dann mit strahlender Mine. Er breitete die Arme aus. „Esst von ihrer Jagdbeute, trinkt von meinem Wein. Heute Abend soll mein Besitz der eure sein, denn heute feiere ich Anan-re, erste und einzige Tochter von Shinan der Schönen.“
Es gelang Moari trotz der Erwähnung seiner verstorbenen Frau, keine Trauer in seiner Mine zu zeigen. Nur Anan, die ihren Vater gut genug kannte, hörte die leisen Echos seiner Trauer in seiner Stimme mitschwingen. Sie selbst hatte sich geschworen, nicht mehr zu trauern, darum senkte sie den Blick und ballte die Fäuste, bis sie fühlte, dass kein Blut mehr in ihre Hände floss. Es lenkte sie von diesen Gedanken ab, bis die Freude über ihren Erfolg wieder die Oberhand über ihre Gefühle hatte und die Tränen, die sich unbedingt in ihren Augen hatten sammeln wollen, verschwunden waren.
Du bist jetzt fünfzehn, sagte sie sich, eine erwachsene Frau und eine Jägerin der Jadeira. Du weinst nicht mehr wegen einer verlorenen Mutter wie ein kleines Kind, verstanden? Es half. Als sie wieder aufsah, fingen gerade die Frauen wieder mit dem Gesang an, ein jubelnder, stampfender Rhythmus und eine fröhliche Melodie, die hin und wieder in reines Lachen überging. Anan hob den Kopf und brüllte, so laut sie es vermochte, und die anderen Jadeira antworteten ihr mit Freuden.
Anan hatte das Gefühl, ihr Lärm müsse in den großen Nachthimmel hinaufsteigen und die Sterne selbst wecken, so laut war es.
Sie tanzte. Heute Nacht tanzte sie, um zu feiern und um zu trauern. Sie tanzte, um alles zu vergessen und sich an alles zu erinnern, und sie lachte und trank den süßen Jagdwein mit dem Antilopenblut und aß von dem warmen Fleisch und sprang über das funkenstiebende Feuer aus reinem Übermut – und irgendwann, spät in der Nacht, stand sie vor Kimar.
Er hatte seine schwarzen Haare zu langen Zöpfen geflochten, die ihm bis auf das Rückenfell fielen. Seine Augen waren grün, die geschlitzten Pupillen in der Dunkelheit weit geöffnet. Er griff nach Anan, die gerade um ihr Gleichgewicht rang. Ihre vier Tatzen schienen ihr die Mitarbeit zu verwehren und sie nicht mehr tragen zu wollen. Der Wein, der verdammte Wein…
Einen Moment lang hielt er ihre Hand fest und sah sie an. Anan versuchte zu lächeln, war sich jedoch mehr als klar darüber, dass die schwarze Kahjo-Kohle um ihre Augen schon lange verwischt war und vermutlich hässliche Ränder auf ihren Wangen bildete und sie geronnenes Blut und Weinspritzer an den Mundwinkeln und auf der Brust kleben hatte. Halb erwartete sie, dass er sich abwenden würde, doch zu ihrem Erstaunen senkte er kurz den Kopf. „Anan-re,“ sagte er leise, beinahe respektvoll.
Stolz wallte in Anan auf. Anerkennung, das war in ihren Augen das höchste Gut, süß wie Honig und berauschend wie Wein. Bevor sie sich ihre eigene Angst eingestehen konnte, trat sie einen weiteren Schritt auf Kimar zu, so dass Haut an Haut rieb, schlang ihre Arme um ihn und küsste ihn leidenschaftlich. Sie merkte, wie er sich versteifte, zurückziehen wollte – und dann nachgab und ihren Kuss erwiderte.
Hitze flutete durch Anans Körper, als ihr aufging, dass Kimar sie nicht abweisen würde. Ihre Gedanken rasten, wollten einen Plan machen, das weitere Vorgehen zurechtlegen – doch sie konnten die Barriere aus purer Leidenschaft, die sich in ihrem Kopf gebildet hatte, nicht überwinden. Hätte Kimar sie nicht festgehalten, wäre sie wohl zu Boden gesunken. Er lachte, als sich ihre Lippen lösten.
„Du machst nicht viele Worte, hm?“ fragte er, den Kopf schräg gelegt. Anan schluckte einmal, zweimal – sie hatte tatsächlich für einen Moment die Sprache verloren. Darüber mussten sie beide wieder lachen.
„Ich.. ich… würde die Schuld daran gerne dem Wein geben,“ sagte Anan schließlich, als sie es wieder konnte, „aber das wäre nicht ganz wahr.“