November 15

26 Jori Gid’eron / Ada

Als Jori erwachte, saß Pakaa’ke neben ihm und schnitzte an einer Tierfigur herum. Er hatte seinen Speer nicht angefasst.
Wortlos machte sich Jori wieder an die Arbeit. Pakaa’ke sah ihm zu, wie er die steinerne Spitze einpasste, mit dem Birkenteer festklebte und den weich gekauten Sehnen fixierte. Offenbar interessierte ihn seine Arbeit sehr. Jori gab sich Mühe, ordentliche Arbeit zu leisten. Da er noch mehr Teerkleber übrig hatte, machte er auch noch zwei Pfeilspitzen und suchte nach geraden, trockenen Ästen dafür. Pakaa’ke saß geduldig über seiner Schnitzarbeit, sah zu und sprach kein Wort.
Jori, der ihn ja ohnehin nicht verstehen konnte, wenn er in der schnellen Vogelsprache plapperte und klapperte, fand das recht angenehm.
Schließlich fing er an, den Speer zu verzieren, kerbte Rillen und Geistzeichen hinein und sang ihm Jagdglück zu. Auch das beobachtete der fremde Jäger aufmerksam. In seinen Händen nahm ein kleiner, hell gemaserter Jaguarjunge Formen an, was Jori wiederum begeisterte.
Von den Ada konnten einige schnitzen, aber niemand hätte so schnell solch ein Kunstwerk schaffen können. Pakaa’kes Messer war hell und glänzend, wie Joris Zunje – und ein wenig so wie das Blitz-dreh-ding, dass er in seinem Traum gesehen hatte, böse, todbringend, auf eine ganz besondere Weise.
Plötzlich fühlte Jori den Drang, mit jemandem über sein Erlebnis zu sprechen. Aber würde man ihn verstehen?
Jori löschte das Feuer, nahm seine neuen Waffen an sich und bedeutete Pakaa’ke, ihn zu begleiten.

Ein Speer und ein Messer sind eine gute Sache. Nun fehlt noch ein Bogen und eine Axt, dann kann ich selbst jagen und Feuer machen. Dann muss ich nicht mit ihnen ziehen.
– Du hast Dein Wort gegeben. Sie verlassen sich auf Dich.
– Ich weiß. Es geht ja auch nicht darum, mein Wort zu brechen, sondern darum, etwas beitragen zu können, wenn nötig. Zu jagen oder… zu fischen.
– Und darum, dass Du zurecht kommst, wenn alles andere versagt.
– Ja.

Es war ein langer Weg zurück den Hügel hinauf, wo die Anderen lagerten und auf die Älteste warten. Sie war zu der Träumenden Quelle gegangen, ihre beiden Töchter mit ihr. Zuhause, überlegte Jori, hätte Mela’chak die Knochen geworfen, um Führung von den Geistern zu erhalten, anstatt an einer Quelle einzuschlafen oder er hätte die Großvaterbäume mit heiligem Rauch befragt.
Die Albae dagegen waren eigens ausgezogen, um die Träumende Quelle zu finden. Doch obwohl Joris Träume so schmerzhaft real waren, obwohl Urrikka-tikka offenbar vollkommen überzeugt davon war, dass die Quelle ihnen die richtige Antwort geben oder zumindest den richtigen Pfad weisen konnte, schien dies bei den anderen nicht so zu sein. Irgendeine Befremdlichkeit, die Jori nur erahnt, nicht erklärt bekommen hatte, schien die jüngeren Albae zweifeln zu lassen an der Weisheit der Quelle.

Jori war gespannt, was man zu seinem Erlebnis sagen würde, wenn er von dem gewaltigen, bösen Ding erzählte und von den Morden an dem anderen Vogelvolk. Übelkeit überkam ihn, wenn er erneut daran dachte, was er gefühlt und gesehen hatte. Es war so echt gewesen.


Autor: Susanne Meyers. Alle Rechte vorbehalten.

Veröffentlicht15. November 2020 von ZuMe in Kategorie "Ada", "FvT