21 Anan-Re / Jadeira
Anan schluckte – und rührte sich nicht, auch nicht, als erneut der peinigende Schmerz zwischen ihren Flanken aufflammte, dort, wo Trakra sie in der gestrigen Nacht schon mehrfach gegen ihren Willen genommen hatte. Der Dolch zitterte vor ihre Kehle, der ekelhafte Fremde über ihr keuchte, fauchte und spuckte, zuckte, drückte, quälte sie.
Anan konnte nicht sagen, wie lange es dauerte. Die Zeit schien endlos still zu stehen, und im Takt der ekelerregenden Stöße zitterte der Dolch, eine halbe Krallenbreite vor ihrer Kehle.
Schließlich wich das Keuchen einem erstickten Schnaufen. Ein letzter Ruck, dann sank der Faytwa nach vorne, der Schmerz legte sich – und zu Anans Überraschung auch Baruf. Er sank nach vorne, halb an der Seite von ihr herab, und blieb, eingeklemmt zwischen ihr und der Zeltstange, liegen. Die Traumnüsse hatten auch ihm noch den Schlaf gebracht – allerdings in der denkbar schlechtesten Lage. Sein Penis steckte noch in ihr, schlaff, aber durch seinen kräftigen Löwenkörper an Ort und Stelle gehalten. Anan konnte nicht vor und nicht zurück, selbst wenn die gelockerten Lederfesseln ihr jede beliebige Bewegung erlaubt hätten. Oh ihr Götter – was nun?
Tränen stiegen ihr in die Augen. All die wundervollen Rachepläne – und nun? Nun würde sie warten müssen, bis irgendjemand sie so fand, gefesselt, vergewaltigt, eingeklemmt zwischen all den vergifteten Jägern – oder, noch schlimmer – bis sie aufwachten und sich selbst ein Bild von der Lage machen konnten. Anans Tod wäre dann unausweichliche Gewissheit.
Sie raffte all ihre verbliebenen Kräfte zusammen und ruckte so lange nach vorne, bis sie wenigstens Barufs Männlichkeit nicht mehr in ihrem gepeinigten Inneren spürte. Der Jäger gab nur ein schwaches Grunzen von sich, wachte aber nicht auf. Danach dauerte es – zumindest fühlte Anan es so – Stunden, bis sie sich unter dem schweren Löwenkörper hervor gearbeitet hatte.
Als sie endlich frei war, nahm sie Barufs Faytwa an sich, dann stieß sie es ohne viel Federlesens Trakra durch die Kehle nach oben ins Gehirn.
Der neue Kowa‘ der Jadeira starb ohne einen weiteren Laut. Nur ein kurzes Zucken deutete an, dass er überhaupt noch versucht hatte, zu reagieren.
Anan ließ es stecken, damit die Seelenwinde nicht aus Trakras Körper austreten konnten. Er hätte einen langen und blutigen Tod verdient, dieselbe Art von Folter, wie er an ihr ausgeübt hatte. Doch dazu hatte sie keine Gelegenheit und auch nicht das passende Werkzeug, und sie konnte kaum stehen.
Sie zog Trakras Faytwa aus seinem Gürtel und tötete Baruf auf die gleiche Weise. Anschließend ließ sie es zu, dass sich ihr rebellierender Magen übergab. Der säuerlich-schale Gestank halbverdauter Kräuter-Antilope auf blutigem Löwenfell hinterließ ein einzigartiges Aroma in Taitas Zelt, der Anan erneut die Tränen in die Augen trieb.
So schnell sie konnte, riss sie mit ihren Vorderpranken den Teppich hoch, wickelte ihn halb um den toten Baruf, und legte die Wasserschläuche, die Kräutertasche und dann auch Taitas Faytwa frei.
Als sie sich ausgerüstet hatte, schlug sie den Teppich wieder zurück und begann, die Ratsmitglieder, die nur schliefen, von ihrer Mähne zu befreien, wie man es bei Kindern tut, wenn sie Läuse haben.
Sie arbeitete nicht sorgfältig, hinterließ Knoten und Knötchen ungeschorenen Haares, denn ihre Finger zitterten. Ich hätte euch alle töten können, dachte sie. Ich tue es nicht, weil ich eine ehrenwerte Jägerin bin, Anan-re, von Shinans Wurf von den Jaderia, Tochter von Moari-Re.
Ogonns Haar ließ sie ungeschoren, nur eine einzelne Strähne schnitt sie ihm ab. Dann verknotete sie die Zeltplane von innen, als müsse man das Zelt gegen einen Sandsturm sichern, und stolperte noch einmal über all das wilde Durcheinander schlafender und toter Löwenkörper.
Mit einem ungeschickt geführten Schnitt von Taitas Faytwa zerteilte sie die Zeltplane auf der Rückwand und stolperte hinaus in die sternbesetzte Abenddämmerung des Lagers. Tief holte sie Luft, schüttelte die Mähne und orientierte sich an den Sternen. Dann nahm sie sich vom Feuerplatz einen, zwei der langen Jagdspeere, einen der wertvollen Bogen und einen Köcher mit guten Pfeilen. Sie wollte auch noch nach etwas zu essen greifen, doch als ihr Magen erneut warnende Signale aussandte, ließ sie es bleiben. Sie würde es später bereuen, aber daran war jetzt nichts zu ändern.
Ohne noch einmal zurück zu sehen, humpelte Anan los, zum Palmenwäldchen hinüber. Sie war jetzt keine Jadeira mehr. Sie war eine Kowa‘-mörderin, eine qui’lo, jemand, der das heilige Gesetz der Blutrache missachtet hatte.
Ihr war es nicht klar gewesen, obwohl die Männer sie bereits so behandelt hatten. Irgendwie hatte sie gehofft, in ihr altes Leben zurückkehren zu können, wenn sie ihren Vater rächte. Aber Rache hatte offensichtlich doch keinen so süßen Geschmack, wie die Geschichten es immer erzählten.
Das Lager blieb still zurück; alle Festlichkeit hatte ein Ende.
Anan torkelte mehr als dass sie lief, und der Weg bis zur Wasserstelle kam ihr doppelt so weit vor wie tags zuvor. Sie wusste, dass sie am Ende ihrer Kräfte war.
Es war ihr bewusst, dass sie blutete, und auch, dass jeder, der sie sah, auf den ersten Blick erkennen musste, dass mit ihr etwas nicht stimmte.
Dennoch flogen die Vögel auf und senkte sich die gewohnte Art von Stille auf die Dattelpalmen-oase herab, als Anan den finsteren Schatten unter den Bäumen betrat, der vom hellen Mondlicht geworfen wurde.
Auf eine gewisse Weise, das schienen die kleineren Tiere zu wissen, war ein verletztes Raubtier noch gefährlicher als ein gesundes.
Anan hatte zwei Wasserschläuche, den Vorrat mit den Kräutern, zwei kleine Faytwa und ein langes Stück Leder – mehr war von ihrem alten Leben nicht geblieben.