20 Anan-Re / Jadeira
Anan fuhr alle Krallen aus, sträubte ihr Fell, fletschte die Zähne – und wusste gleichzeitig, dass es so sinnlos war, gegen sie alle zu kämpfen, wie den Sand von den Zelten zu fegen, wenn der Wind wehte.
Ogonn erhob sich ebenfalls, leicht schwankend. Mit einem Seitenblick auf Anan bedankte er sich höflich bei Trakra für das Angebot, doch sei er müde und wolle sich lieber zurück ziehen. Die anderen Räte quittierten dies mit dröhnendem Gelächter und einigen spitzen Bemerkungen, die Ogonn aber ignorierte.
Ainwe hatte wohl recht dahingehend, dass er der netteste der neuen Jäger sei, dachte Anan. Trakra nickte und wollte noch etwas erwidern – aber mitten im Satz fielen ihm die Augen zu und er schlug schwer auf den Zeltboden auf.
Es gab einen Moment der atemlosen, gespannten Stille, als alle zu Trakra sahen und zu begreifen versuchten, was geschehen war. Zu Anans unendlicher Erleichterung drehte sich sogar der massige Isam langsam zu seinem Kowa‘ um und wollte ihm wohl helfen, wieder auf die Beine zu kommen.
Doch wo es zunächst nur schien, als hätte ein Stück Teppich unter seinem Hinterlauf nachgegeben, rutschte in der nächsten Sekunde der ganze massige Leib des Jägers hinterher, fiel halb auf den dumpf vor sich hin starrenden Fath und blieb dann genauso regungslos liegen wie Trakra. Anans kleines Herz klopfte wie rasend in ihrer Brust, als sei zwischen ihren Rippen ein Wildvogel gefangen und versuche nun unbedingt, auszubrechen.
Der älteste Jäger Fath, unmöglich eingequetscht zwischen Isam und Zanja, versuchte, auf die Beine zu kommen und sein Faytwa zu ziehen, doch er schaffte weder das eine noch das andere ganz, bevor auch ihm die Beine umknickten. Schwer fiel er auf Zanja, der das jedoch gar nicht mehr bemerkte – er war bereits in den Schlaf vornüber gesunken. Ogonn machte noch zwei Schritte in Richtung Zeltplane – dann wurde auch er vom Schlaf übermannt.
Als allerletztes noch stand Baruf, der nur wenig gegessen, aber dafür umso mehr getrunken hatte. Er starrte Anan an, und in seinen Augen funkelte es boshaft. „Du… hast sie vergiftet, nicht wahr?“ fragte er drohend. „Dafür wirst Du sterben….!“
Anan saß da wie ein Kaninchen vor der Schlange, still, unfähig sich zu bewegen. Sie konnte nur stumm den Kopf schütteln.
Er zog sein Faytwa, kam auf sie zu. Baruf war der unauffälligste der neuen Jäger, sehnig und drahtig, die Haare dunkel, das Gesicht ebenfalls. Hatte Anan ihn unterschätzt? Würde sie es schaffen können, sich gegen ihn zu behaupten?
Er stieg über seine gefallenen Kameraden, vorsichtig, knurrend, bereit, sich auf sie zu stürzen. Anan hatte nur die leeren Hände, konnte sich bei aller Macht nicht bewegen. Ihr Körper ließ sie schändlicherweise im Stich, ihre Gedanken wirbelten haltlos in ihrem Kopf herum, ohne ihr eine Lösung, einen Ausweg aus diesem Dilemma anbieten zu können.
Baruf war bis auf zwei Schritte an sie heran gekommen, den Dolch kampfbereit gezückt. In seinen Augen blitzte Wut auf, unverhohlen, und Abscheu. Anan kroch in ihren Fesseln noch weiter zur Zeltwand hin, schob sich auf den Hinterläufen über den Teppich. Sie konnte nicht vorbei – sie konnte nirgends hin.
Baruf hielt ihr den Dolch an die Kehle, drückte zu, bis ein einzelner Blutstropfen ihrem weit nach hinten gebeugten Hals entsprang – dann war er mit einem plötzlichen Sprung über ihr und trat mit einer wütenden Bewegung ihren Schwanz beiseite. Keuchend legte er ihr den Arm über die Brüste, knurrte in ihr Ohr: „Keinen Ton, Verräterin! Dies ist das beste, was Dir vor Deinem qualvollen Tod noch passieren kann!“