Juli 14

19 Anan-Re / Jadeira

Hinter Trakra, der einen recht zufriedenen Gesichtsausdruck zur Schau trug, folgten seine fünf verbliebenen Jäger: Ogonn, Zanja, Baruf, Isam und Fath. Qechi war mit den männlichen Jadeira zur Wasserfall-Oase gezogen; Anan hielt ihn für den ruchlosesten und loyalsten Jäger des neuen Kowa‘.

Vorek, der siebte seiner Getreuen, war ja – gestern erst? Anan schien es Welten her zu sein – von Taita erstochen worden und lag nun im Sande; vermutlich nicht weit von dem Körper ihres erdrosselten Vaters entfernt.

Anan schluckte. Selbstmord ist die letzte Option, sagte sie sich erneut. Und vorher zahle ich es diesem Schwein heim, wenn ich irgend kann.

„Nun haben wir genügend Leute für ein Fest, Püppchen,“ prahlte Trakra zufrieden, und Anan schluckte. In dem Zelt war es mit so vielen Leuten sehr eng, und jedes einzelne Ratsmitglied musterte sie mit gierigen, funkelnden Augen. Was hatte Trakra ihnen versprochen? Für Anan war das nicht schwer zu erraten. Ihre Hände zitterten merklich, als sie den Ratsmitgliedern Wein aus der Karaffe einschenkte und den würzigen Geschmack der beigefügten Nüsse lobte.

Ihre sichtliche Angst entlockte Trakra ein volles, genüssliches Lachen: So hatte eine Frau zu sein, so und nicht anders.

Anan wusste wirklich nicht, wie stark die Traumnüsse waren, wieviel davon einem ausgewachsenen Mann den gewünschten Schlaf bringen konnte. Für Trakra hätte die Menge in der Karaffe vielleicht ausgereicht – Anans Plan war gewesen, ihn dazu zu bringen, möglichst viel davon zu trinken – doch dasselbe Ziel für alle fünf Ratsmitglieder zu erreichen, schien ihr mit dieser einen Karaffe unmöglich zu sein. Doch was konnte sie tun? Gar nichts. Sie schenkte allen Wein und sich Tee ein und senkte den Kopf bei Trakras großspurig vorgebrachten Lob auf seine vorzügliche Jagdbeute und den nun ihm gehörenden Reichtum der Jadeira.

Die Männer aßen von dem Kräuterbraten, tranken von dem Wein, glotzten Anan an. Es herrschte eine gespannte, erwartungsvolle Atmosphäre, die Anan bei bestem Willen nicht übersehen konnte. Einige Ratsmitglieder tatschten an ihren Flanken herum, wenn sie, behindert von ihren Fesseln, vorbeiging, streichelten ihr Fell oder machten bewundernde Komplimente über ihre straffe Haut, starrten dabei auf ihre Brüste, als hätten sie noch nie welche gesehen.

Die magere kleine Antilope, ohnehin schon mit Kräutern gestreckt, war bald vertilgt, und die Männer riefen nach mehr Wein und mehr Essen.

Schließlich holten sie beides aus dem Frauenzelt; es war der Rinderbraten mit der Nusskruste und ein ganzes Fässchen Showi-Wein. Anan trank ein paar Schlucke Tee, hockte sich in die dunkelste Ecke des Zeltes und versuchte, sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Sie saß genau auf dem kleinen Hügelchen, unter dem sie ihren Notvorrat versteckt hatte, und rutschte dort unruhig hin und her. Sie konnte jetzt nur noch warten, und das war das allerschlimmste.

Trakra nickte zufrieden. Sie beginnt zu lernen, dachte er, als er ihren ängstlichen Blick sah.

Zu Anans Zufriedenheit zeigten sich bald Anzeichen von Müdigkeit bei den Ratsmitgliedern, und auch wenn sie gar nicht sagen konnte, ob dies den Nüssen oder dem reichlich geflossenen Wein geschuldet war, konnte sie doch nicht verhindern, dass in ihrem Herzen Hoffnung aufkeimte, so schnell wie die Sprossen der Ulawate-Pflanze nach dem ersten Winterregen.

Doch dann verkündete Trakra, was Anan die ganze Zeit über schon befürchtet hatte. Sie hätte allen Ratsmitgliedern zur Verfügung zu stehen, sei seine Jagdbeute genauso wie die Antilope, von der nur noch die abgenagten Knochen in die Luft ragten. Und er sei so großmütig, sie mit seinen Jagdbrüdern zu teilen, Vorek zu Ehren, der von einer ehrlosen Frau hinterrücks ermordet worden sei. Anan schwoll die Kehle zu bei soviel Lüge und Prahlerei; sie wollte schreien, das Unrecht anprangern – doch fehlte ihr die Luft zum Atmen genauso wie zum Schreien, so als würde Trakra sie wieder so brutal würgen wie in der Nacht zuvor.

Sie wich noch ein wenig weiter in die dunkelste Zeltecke zurück, als Isam aufstand und sagte, er wolle als erster von dem süßen Honigtau kosten, den sein Kowa‘ ihm hier anbiete. Breit lächelnd, die Zähne vom Showi-wein dunkel verfärbt, kam er auf sie zu. Er war kräftig und breit, stiernackig und braungebrannt; sicherlich wog er gut das doppelte von Anan.


Autor: Susanne Meyers. Alle Rechte vorbehalten.

Veröffentlicht14. Juli 2020 von ZuMe in Kategorie "FvT", "Jadeira