Juli 14

18 Anan-Re / Jadeira

Was nun? Trakra würde den Braten zurückbringen und seine Antilope fordern.

Aber nun hatte sie keine gehackten Nüsse mehr, um noch einen Braten zu würzen.

Es würde nicht klappen. Und dann?

Sie würde hier gefangen bleiben. Trakra würde sie quälen, bis sie sein Kind trug – oder bis sie verhungert oder verdurstet war.

Sie würde nicht entkommen können. Sie wäre verdammt, so oder so….

Anan brauchte nicht darüber nach zu denken. Sollte es so kommen, würden sie den Weg der alten Frau vorziehen. Diese Möglichkeit blieb ihr immer noch – als letzter, allerletzter Ausweg.

Trakra kam schnell zurück, schneller, als sie einen neuen Plan fassen konnte. Sie zwang sich zu einem nervösen Lächeln, als er seine Antilope hereinbrachte.

„So.“ Trakra stand über ihr und sah auf sie herab. „Erst das Essen, nicht wahr?“

Anan würgte. Er würde sie erneut vergewaltigen. Und sie konnte nichts, gar nichts dagegen tun. Ihre mühsam aufrecht erhaltene Fassade bröckelte. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten.

Das hilft nun gar nichts, ärgerte sie sich über sich selbst.

Glücklicherweise hatte Trakra sich schon abgewandt und ihr Schweigen als Zustimmung verstanden. Er zerschnitt das lockere Antilopenfleisch mit geübten Bewegungen. Dieser Braten war nicht mit Nüssen, sondern nur mit Kräutern dekoriert. Wenn sie doch nur…

Sie hinkte näher an Trakra heran, während sie die letzten zwei ganzen Nüsse aus dem kleinen Säckchen an ihrem Handgelenk heraus schüttelte. Als er ihr ihre Schale reichte, zwang sie sich zu einem Lächeln.

„Bitte, gib mir noch etwas mehr von der Kruste mit den Kräutern. Sie ist sehr gut.“

„Natürlich, Püppchen.“ Trakra grinste. „Gewöhnst Du Dich schon an den Gedanken, meine Frau zu sein? Du wirst nur das beste Essen bekommen und nicht mehr selbst jagen und Vieh hüten müssen. Du wirst schon sehen. Dieses Zelt mag luxuriös eingerichtet sein, aber gegen das Zelt meiner Hauptfrau sieht es nur aus wie ein verwischtes Sandbild.“

Anan lächelte kurz, anstatt mit den Augen zu rollen. Ein Leben als Püppchen, eingesperrt in einem Zelt – das war das Letzte, was sie wollte! Sie war Anan-re, Jägerin der Jadeira! Sie war frei, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, war es immer gewesen und würde es auch jetzt sein. Auch dann, wenn ihre einzige Entscheidungsfreiheit in Sklaverei oder Freitod bestand. Sie wusste, was sie dann wählen würde, hatte es vorhin beschlossen.

Trakras Weltbild war nicht ihres, und sich ihm unterzuordnen, diesem feigen Mörder und Sklavenhalter, kam für sie überhaupt nicht in Betracht.

Sie sah keine Möglichkeit, die Nüsse in Trakras Schale zu geben, ohne dass er misstrauisch werden würde.

Trakra begann das Mahl mit der traditionellen Anrufung der Götter, wobei er nur Sanu-Ra, den Sonnengott, pries. Peche-Ur, die Windgöttin, und Mande-Ur, die Mondjungfrau, rief er nicht an.

Daraufhin tat es Anan, was Trakra offensichtlich ärgerte.

„Diese schwachen Göttinnen sind der Anrufung vor einem Fest nicht würdig,“ mäkelte er.

„Oh, die Jadeira verehren sie sehr,“ behauptete Anan. „Und – welches Fest meinst Du? Wir sind allein,“ erinnerte sie ihn.

Trakra runzelte die Stirn und knurrte leise, weil ihm darauf scheinbar keine gute Antwort einfiel.

Doch dann huschte so etwas wie ein bösartiges Lächeln über seine Miene.

„Warte hier. Ich bitte die anderen Räte, uns Gesellschaft zu leisten, wenn sie ihr Mahl in den Frauenzelten beendet haben.“

Trakra erhob sich erneut und verließ das Zelt. Für Anan die Gelegenheit, die zwei Nüsse, die sie in der verschwitzten Hand trug, mit dem Boden ihrer Schale grob in Stücke zu brechen.

Trakra hatte von seiner Schale bereits gegessen, ein veränderter Geschmack würde ihm vermutlich auffallen. Also konnte sie keine Traumnüsse mehr zu seinem Essen hinzufügen. Aber er hatte Wein und Tee mit ins Zelt gebracht. Anan hatte keine Ahnung, ob nur ein Teil einer Nuss ausreichte, um den tiefen Schlaf in Trakra zu erzeugen, den sie für ihr Vorhaben brauchte. So schnell es ging, drückte sie die Nüsse noch kleiner und streute sie in den Wein, einen größeren Teil in sein Glas und einen kleineren in die offene Karaffe. Sie würden nach unten sinken und einen sichtbaren Bodenbelag bilden, aber Anan konnte dann sagen, dass bei den Jadeira der Wein eben auf diese Art und Weise gewürzt wurde. Mit etwas Glück würden die Nüsse zusammen mit dem Alkohol schneller wirken. Nun musste sie Trakra nur noch dazu kriegen, möglichst viel Wein zu trinken…

Als er wiederkam, hatte sie bereits ihre Schale hastig leer geschlungen und ihren Wein ausgetrunken. Sie fand es sehr schlau, dass sie ein wenig von den Nusskrümeln auch in ihr leeres Glas gestreut hatte, so dass es aussah, als sei auch dieser Wein mit Nüssen gewürzt gewesen.

Hoffentlich, hoffentlich würde diese eine Nuss in Trakras Glas ausreichen!


Autor: Susanne Meyers. Alle Rechte vorbehalten.

Veröffentlicht14. Juli 2020 von ZuMe in Kategorie "FvT", "Jadeira