Juli 14

14 Anan-Re / Jadeira

Nein. Sie konnte nicht von sich auf andere schließen. Vielleicht war dies Trakras Art gewesen, ihren Widerspruch zu bestrafen. Bestraft fühlte sie sich auf jeden Fall. Vielleicht waren die anderen Fremden ganz anders; ihre Freundinnen schienen das auf jeden Fall zu glauben. Und was nur, was sollten sie tun?

„Wo… ist Kimar?“ fragte sie.

Hundertmal mindestens hatte sie sich vorgestellt, dass er zum Zelt hinein käme und sie rettete.

Ainwes Gesicht wurde fröhlicher. „Trakra und Qechi, sein Berater, haben eine lange Rede gehalten heute mittag. Dass sie den Jadeira die wahren Traditionen des Löwenschlags wieder zurück bringen wollen und die Jungen richtig ausbilden. Qechi hat alle männlichen Jadeira mit zur Wasserfall-Oase genommen, um sie für eine Dijadda auszubilden. Sogar Tiwi haben sie mitgenommen!“

Tiwi war drei Jahre alt. Anan schwante fürchterliches. „Und wann… kommen sie zurück?“ presste sie hervor.

„Oh, mal sehen. Das hat Qechi nicht gesagt, aber ich denke, es wird eine Zeit dauern. Stell Dir vor, Tiwi als Jäger!“

„Und… Paydro?“ Paydro war der jüngste männliche Nachkomme der Jadeira, der Sohn von Yula. Er war gerade sechs Monate alt.

Ainwe schüttelte den Kopf. „Den haben sie natürlich nicht mitgenommen. Er braucht doch noch Yulas Milch!“

Ainwe lachte, als sei Anan verwirrt oder dumm. Anan spürte Kraft in ihre Glieder zurück kehren, als Wut in ihr aufwallte.

„Ich sage euch, er wird alle männlichen Nachkommen der alten Ratsältesten umbringen. Die Jungen sind so gut wie verloren, und Paydro wird bestimmt auch noch umkommen! Ihr müsst etwas unternehmen! Wehrt Euch! Er ist kein Kowa‘… er ist.. ein Monster!“

Anans Freundinnen wichen entsetzt zurück, als sie solch eine beängstigende Prophezeiung machte. Unglauben stand so offen im Raum, dass Anan auf Widerworte wartete.

„Du… bist verwirrt, Anan,“ sagte Ainwe schließlich, nach einer langen Pause. „Du solltest noch etwas trinken und ein wenig schlafen. Die Nacht war anstrengend für Dich, ja?“

Natürlich war sie das! wollte Anan schreien, aber der lange Wortschwall hatte ihre Stimme beinahe überlastet, und außer einem grollenden Husten brachte sie keine Antwort mehr hervor.

Konnten oder wollten ihre Freundinnen die Verletzungen nicht sehen, die Trakra ihr beigebracht hatte? Die Scham, die Schmerzen, die Schreie? Hatten sie denn gar nichts verstanden? Sie musste dafür sorgen, dass sie es erkannten. Nur wie? Und sie musste fort, Kimar warnen und… aber wie?

Ihre Gedanken überstürzten sich, während ihre Freundinnen sich tuschelnd zurück zogen. „Bringt.. mir mehr Wasser… bitte,“ keuchte sie.

Zumindest Ainwe nickte. Sie war sehr bleich geworden; Tiwi war ihr jüngster Bruder.

Vielleicht hatte sie die Mädchen doch zum Nachdenken gebracht.

Ein dunkler Schatten zeichnete sich an der offenen Zeltklappe ab, und die ohnehin schon nervösen Mädchen stoben auseinander.

Es war Trakra. Anan konnte ein instinktives Zurückzucken nicht vermeiden, obwohl es sie wütend auf sich selbst machte.

Die Mädchen verdunsteten aus dem Zelt, wie Wasser auf dem heißen Wüstenboden. Anan wurde klar, dass sie nicht den Auftrag gehabt hatten, sich um sie zu kümmern. Vermutlich hatte Ainwe nur nach dem Gestank sehen wollen, der von Taitas Leichnam gekommen war. Anan zog die schmerzenden Pranken sprungbereit unter den Körper und strich sich das wirre Haar zurück.

Sie fletschte die Zähne.

Trakra bewegte sich geschmeidig und ausgeruht; sie würde wenig Chancen in einem Kampf haben in ihrem geschwächten Zustand. Aber aufgeben? Niemals. Er hatte sie verletzt und gedemütigt, aber für Anan war das kein Grund, sich zu unterwerfen.

„Nun, Püppchen?“ fragte Trakra lässig. „Hast Du unseren ersten gemeinsamen Abend genossen, ja?“

Er zeigte die Zähne und wartete tatsächlich auf ein demütiges „Ja, Kowa‘.“

„Einen Schlangenbiss hätte ich mehr genossen, Zerkratzter,“
fauchte Anan und zog eine spöttische Mine zu den zahlreichen Striemen auf seiner Haut. Es war nichts gegen ihre Verletzungen, aber immerhin hatte er für die Gewalt, die er ihr angetan hatte, zumindest ein wenig büßen müssen. Noch lange nicht genug, wenn es nach Anan ging.
„Noch mehr hätte ich ihn allerdings genossen, wenn die Schlange Dich gebissen hätte.“

Trakra verzog keine Mine – er hatte schon gewusst, dass er von dieser Frau den Respekt, den sie ihm natürlicherweise schuldete, nicht ohne weiteres bekommen würde. Die Jadeira waren in ihren Traditionen wahrhaft verderbt.

Trakra hatte bereits darüber nachgedacht. Die Männer – fast alle Männer – des alten Stammes waren beseitigt worden, und bei den Frauen würde geduldige Umerziehung der Schlüssel zum Erfolg sein.

Er hatte die älteren Frauen nach Familienverhältnissen und Herkunft der einzelnen Frauen befragt und wusste jetzt, wer in der Hierarchie des Stammes wo stand.

Der kleine Paydro würde früher oder später einem bedauerlichen Unfall zum Opfer fallen, und dann würde es bei den Jadeira nur noch seine Nachkommen und die seiner Jagdbrüder geben – die allesamt noch zu zeugen waren.

Ein wirklich guter Schlag, mit seiner handverlesenen Jagdgruppe die Jadeira zu übernehmen. Sie hatten viele junge Frauen, und die, die nicht gerade stillten, hatten alle mehr oder weniger zu den Annäherungsversuchen seiner Jäger zugestimmt. Schließlich waren es junge, starke Männer, die gerade von einem Kampf und einem Sieg kamen.

Die Berater des vorherigen Kowa‘ waren fast durchweg alte Männer gewesen. Großväter, die den Frauen sicherlich nicht mehr viel nachgestiegen waren.

So hatte Moari sie wohl alle für sich alleine gehabt… aber die älteren Frauen hatten Trakra erzählt, dass Moari keine andere Frau mehr angefasst hatte, seit Shinan ihm ein Kind geschenkt hatte. Und obwohl sie schon ein halbes Jahr im Sande lag, hatte er auch danach nie nach einer anderen verlangt.

Sie müssen sich nach jungen Stammeskriegern gesehnt haben… das stand für Trakra fest. Umso verwunderlicher, dass Anan ihn nicht wollte. Er war der Kowa‘!

Anan als ranghöchste der jungen Frauen und als Tochter des alten Kowa‘ war die beste Wahl als seine Hauptfrau – er hätte so sich und die Rangfolge der Frauen gleichermaßen bestätigen können.

Aber aus welchen Gründen auch immer, ob vorgeschoben oder ausgedacht – sie wollte seinen ihm natürlich zustehenden Rang nicht anerkennen. Und offensichtlich auch nicht zugeben, dass ihr diese Zweifel als Frau gar nicht zustanden. Sie sollte doch eigentlich wissen, dass ihr Verstand gar nicht ausreichte, um seine Handlungen zu beurteilen. So leicht würde er sein Ziel offensichtlich nicht erreichen.

Nun, Traka kannte mehrere Methoden, um einer Frau Gehorsam bei zu bringen, und Anan würde diejenige kennen lernen, die auch bei seiner eigenen Erziehung erfolgreich angewandt worden war: Gewalt und Geduld.

Irgendwann würde sie nachgeben und eine fügsame Frau sein, wie er es von ihr wünschte. Spätestens, wenn sie sein Kind trug, nicht wahr?


Autor: Susanne Meyers. Alle Rechte vorbehalten.

Veröffentlicht14. Juli 2020 von ZuMe in Kategorie "FvT", "Jadeira