13 Jori Gid’eron / Ada
Als Jori wieder zu sich kam, wollte er herumfahren und der Frau die Krallen ins Fleisch graben – aber da war niemand mehr. Darüber hinaus war es Nacht – Tau netzte das saftige Gras und ein paar wenige Sterne funkelten zwischen den sanften Wolkenschleiern und neben einem krallendünnen Sichelmond. Er musste schon wieder eingeschlafen sein.
Irgendetwas stimmte daran nicht, stimmte am Mond nicht, aber Jori konnte nicht sagen, was genau.
Ein wenig weiter entfernt auf der nächsten Hügelkuppe sah und roch er das Feuer der Vogelmenschen.
Er war noch immer gefesselt. Knurrend und die Zähne bleckend, die Ohren nach hinten gelegt, zerrte er zunächst noch einmal hilflos an den Fesseln, die ihn hielten, dann machte er sich wieder auf den Weg zum Lagerfeuer.
Was wollten diese seltsamen Wesen nur von ihm? Warum hielten sie ihn so grausam gefangen und quälten ihn mit Schlafzaubern?
Er näherte sich – vorsichtig und langsam – soweit, dass er mit einem großen Sprung die zwei nächst sitzenden Vogelmenschen erreichen konnte. Sie sahen auf, wandten sich ihm zu; sprachen aber nicht.
Jori knurrte, tief in der Kehle. Er hatte diese seltsamen Leute satt!
„Lasst mich frei!“ forderte er laut, erneut durchfuhr ihn Wut über seine hilflose, absurde Lage. Er war von seinem eigenen Volk verbannt worden; er war durch den ganzen, boshaften, hungrigen Winter gegangen – nur, um jetzt in Fesseln zu liegen, gefangen nicht mehr durch Gesetze, nicht mehr durch Kälte, aber dennoch gefangen – gefangen von diesen seltsamen, unverständlichen Wesen, die er offensichtlich genauso wenig beeinflussen konnte wie die Gesetzes seines Volkes oder die Kälte des Winters. Sollte er denn sein ganzes Leben lang hilflos und gefangen sein? Niemals! Niemals mehr!
Er fauchte; sein verschmutztes Fell richtete sich auf um dem halb verhungerten, schlanken Schatten etwas mehr Gewicht zu verleihen.
Die Älteste trat etwas näher. Zu seinem Erstaunen lag auf ihrem Gesicht keine Härte, nur etwas, das Jori nicht richtig benennen konnte. Mitleid? Abscheu? Vielleicht – Verständnis? Ihr dunkler Blick allein besänftigte seine Wut bereits; erneut fühlte Jori den Schlaf und die seltsamen Träume kommen. Nein! Niemals mehr!
Fauchend und knurrend biss er in die leere Luft, wie um den Zauber abzuwehren.
Die Frau hob beschwichtigend die Hände.
„Friede, Freund….“ sagte sie langsam. „Ich .. spreche nicht gut. Nur das, was Du gelehrt hast, in Deinen Schlaf-Träumen. Du träumst schon so lange…. bitte, lass mich… erzählen, was wichtig ist.“
„Du hast eine Mondbreite, alte Frau,“ gab Jori zurück; er meinte die Zeit, die der Mond braucht, um eine Handbreit am Himmel entlang zu wandern. Was er danach allerdings tun wollte; überhaupt tun konnte, das wusste er selbst nicht.
Sie verstand ihn offensichtlich nicht, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, doch sie nickte.