Juli 14

13 Anan-Re / Jadeira

Als Traka ging, dämmerte schon der Morgen. Er schmunzelte. Zwar hatte er einiges einstecken müssen von dieser kratzbürstigen Jägerin – unter und neben dem Dolchschmiss auf seiner Brust zeichneten sich jetzt fünf, sechs weitere, blutige Krallenspuren ab, eine der unteren Rippen war schmerzhaft geprellt und an seinem Schwanz hatte er eine hässliche, tiefe Bißwunde – aber er hatte sie besiegt und bestiegen.

Er hoffte nur, sie wusste jetzt, wo ihr Platz war. Wäre er nur gleich auf die Idee gekommen, die beiden widerspenstigen Frauen zu fesseln, dann hätte er nicht den ganzen langen Nachmittag vor dem Zelt Wache stehen müssen und sich stattdessen mit seinen Jagdbrüdern betrinken können.

Der Showi-Wein hatte offensichtlich gut gewirkt, um das Eis zu brechen. Trakras Jagdgefährten waren allesamt in den Frauenzelten verschwunden, und es herrschte Stille im Lager. Kein Wunder nach zwei Tagen Fest!

Anan hing hilflos in den Lederriemen, mit denen Trakra ihre Hände an die Zeltstange gebunden hatte, die Arme in den Gelenken nach oben gerissen. Er hatte auch ihre Vorder- und Hinterläufe zusammen gebunden, so dass sie ihr Gewicht kaum darauf verlagern konnte. Sie blutete aus zahlreichen kleineren Wunden und ein Auge war bereits so zugeschwollen, dass sie damit nichts mehr sehen konnte. Um den Hals zeichneten sich purpurrote Würgemale ab.

Sprechen oder schreien konnte sie nicht mehr.

Das schlimmste aber war, dass es offensichtlich niemanden interessierte. Niemand kam, um nach ihr zu sehen. Niemand kam wegen der aufgeschnittenen Leiche, die in der Hitze des neuen Tages erbärmlich zu stinken anfing. Niemand kam.

Soweit Anan hören konnte, ging das Lagerleben draußen seinen gewöhnlichen Gang; nur einmal konnte sie hören, dass eine längere Rede von einem der Fremden gehalten wurde. Aber sie war fiebrig und schwach und verstand den Inhalt nicht.

Schmerzen und schrecklicher Durst – das war alles, worüber Anan nachdenken konnte; für nichts anderes ließ ihre Qual ihr Raum.

Es war später Nachmittag, als sich die Zeltklappe hob und die dicken Fliegen aufscheuchte, die sich an Taitas Fleisch gütlich getan hatten.

Anan hob den Kopf, konnte aber gegen das Licht nicht viel erkennen.

Ein erschreckter Schrei – dann war das Licht fort. Wer immer da gewesen war – er war sofort wieder gegangen.

Es dauerte eine qualvoll lange Zeit, bevor erneut die Zeltklappe gehoben wurde. Fünf oder sechs Frauen traten ein; Anans Freundin Temaran führte sie an. Sie hatte die anderen geholt, denn allein konnte sie Taitas Leiche nicht bewegen.

Während drei Frauen sich um das stinkende Fleisch und den vorderen Teppich kümmerten, der von Taitas Blut steif geworden war, kamen Temaran und Ainwe und banden sie vorsichtig los. Die Riemen hatten sich tief in ihre Haut geschnitten, und ihre Beine konnten ihr Gewicht nicht tragen. Sie hustete, und man gab ihr Wasser.

Vorsichtig wuschen ihre Freundinnen sie und versorgten die größeren Wunden, wenn sie auch nicht mehr viel tun konnten.

„Danke,“ krächzte Anan. „Wer.. was ist Dir geschehen, Anan?“ fragten sie die Frauen, nachdem sie die Klappe aufgestellt hatten, um frische Luft herein zu lassen.

„Trakra…“ Anan hätte so viel zu erzählen gehabt, aber sie brachte die Worte aus ihrer schmerzenden Kehle nicht hervor. „Taita… wollte zu Maror. D… Der Rest … war Trakra. Bei euch…?“

Anan versuchte, mit ihren geschwollenen Augen ihre Freundinnen in Augenschein zu nehmen – hatten sie von der gestrigen Nacht auch Verletzungen davon getragen? Hatte man sie auch gezwungen, den Fremden zu Willen zu sein?

„Alles ist gut bei uns, Anan,“ sagte Temaran, die sich neben ihr nieder gelassen hatte und eine neue Räucherkohle entzündete, um die Luft zu reinigen. „Trakras Berater waren bei uns, und sie sind jung und stark.“

Sogar verhaltenes Gekicher hörte Anan bei diesen Worten. Wie konnten sie nur? Sahen sie nicht, wie diese Fremden wirklich waren? Was Trakra ihr angetan hatte, blühte sicher jeder einzelnen ihrer Freundinnen ebenso. Konnten sie das nicht sehen? Trakra und seine Jagdbrüder würden nicht eher ruhen, bis sie alle anderen Männer der Jadeira ermordet oder vertrieben hatten, und dann würden sie jede einzelne Frau schänden und…

Sie setzte erneut dazu an, ihrer wunden Kehle ein paar verständliche Laute zu entlocken. „Es… ist unrecht und.. er wird alle töten…“ hustete sie.

Ihre Freundinnen tauschten besorgte Blicke, doch meinte Anan spüren zu können, dass sie ihr nicht wirklich glaubten. Sie musste sprechen! So schnell sie konnte, trank sie von dem Wasser aus dem Schlauch, den ihre Freundinnen ihr gebracht hatten, um ihre wunde Kehle zu beruhigen.

„Bitte.. ihr müsst…“


Autor: Susanne Meyers. Alle Rechte vorbehalten.

Veröffentlicht14. Juli 2020 von ZuMe in Kategorie "FvT", "Jadeira