August 1

12 Jori Gid’eron / Ada

Noch immer mit den ihn bindenden Riemen hadernd kam Jori näher an das kleine Kochfeuer heran. Er sah zu der Ruinenstadt auf der Hügelkuppe hinüber. Er hatte keine Erinnerung daran, die Stadt verlassen zu haben; die Vogelmenschen mussten ihn den größten Teil des Weges getragen oder gezogen haben. Er hätte ihnen solch einen Kraftakt gar nicht zugetraut. Witternd, die Ohren eng an den Kopf gelegt, trat er näher ans Feuer.

Die fünf Albae hockten rings herum, und die Älteste nickte erneut mit dem Kopf.

„Deinen Namen – kannst Du sagen?“ bat sie.

Jori leckte sich die Lippen. Er hatte viele Geschichten von Mela’chak gehört, in denen ein Ada von bösen Mächten verflucht worden war, weil er seinen Geburtsnamen verraten hatte.

Diese Leute, so friedlich und ruhig sie auch wirkten, hatten ihn in Fesseln gelegt und mit einem Schlafzauber gefangen gehalten. Er würde ihnen seinen Namen nicht sagen.

Mit der plötzlichen Schnelligkeit, die dem Jaguarschlag zu eigen ist, sprang Jori hoch und versuchte, sich auf die älteste Albae zu stürzen. Seine Fesseln ließen keine geschickten Bewegungen zu, doch schätzte er die Vogelleute als leichte Beute ein und hoffte, die alte Frau mühelos überwältigen zu können, obwohl seine Muskeln und Sehnen ihm nicht mit alter Kraft gehorchen wollten.

Obwohl Jori den Sprung gut geschätzt hatte und sein Angriff die Älteste offensichtlich total überraschte – ihrem Gesichtsausdruck nach zumindest – entkam sie ihm spielend. Sie drehte sich einfach fort, mit einer geschickten, ungeahnten Bewegung, und ließ ihn plump auf den Boden knallen.

Mit einem Knurren wandte Jori sich um und wollte sich erneut auf die Frau stürzen; Wut und Jagdlust in seinen Gedanken – doch die alte Frau führte ihre Hände gegen seinen Nacken, Jori fühlte einen kurzen, kaum schmerzhaften Ruck – und dann zersplitterte seine Welt in einer Explosion der Schwärze.


Autor: Susanne Meyers. Alle Rechte vorbehalten.

Veröffentlicht1. August 2020 von ZuMe in Kategorie "Ada", "FvT