Juli 14

12 Anan-Re / Jadeira

Mit dem freien Arm deutete sie ungeschickt auf Taitas Leiche. Dazu musste sie den Arm zwischen sich und Trakra hindurch strecken.

Trakra beugte sich vor und hielt sie einen Moment in dieser unbequemen Haltung gefangen, an seine Brust gepresst. Anan starrte genau auf den langen, verschorften Schnitt, den sie ihm quer über die Brust beigebracht hatte. Er witterte erneut und stieß ein tiefes Knurren aus.

„Du wartest hier. Du schuldest mir etwas, Püppchen.“

Ich schulde ihm etwas? Anan grübelte darüber nach, während Trakra zu Taitas Leiche trat und mit geübten Bewegungen den rituellen Schnitt ansetzte. Er sprach die zugehörigen Worte mit ruhiger, leiser Stimme, und Anan war erleichtert, als der Geist der alten Frau endlich entlassen war. Jetzt waren Taitas Überreste nur noch Fleisch, das den Sand- und Windgeistern gegeben werden konnte.

Als er wieder zu ihr trat, schien er immer noch wütend zu sein.

„Mehr Ehre, als die Alte verdient hat,“ grollte er. Anan schüttelte nur kurz den Kopf. Die Seele in die heiligen Jagdgründe fort ziehen zu lassen, war ein Vorrecht aller Jadeira. Niemand konnte es verwirken oder verweigern. Warum auch, wenn man selbst nicht anschließend von einem bösen Geist gequält werden wollte?

Eine Stille entstand. Trakra starrte Anan an, als warte er auf etwas, aber Anan wusste nicht, was er erwartete.

„Was… was schulde ich Euch, Kowa‘?“ fragte sie schließlich. Der Klumpen Besorgnis in ihrem Magen war noch immer da, seit sie heute morgen Trakra zum ersten Mal gesehen hatte. Er schien Gefahr auszustrahlen wie eine Lampe Licht und Wärme. Sie schluckte.

Trakra grinste und packte sie erneut am Arm. „Ganz einfach. Du und Deine tote Freundin da,“ – er zeigte hinüber zu Taita – „haben mir meinen Sieg beim Saddhaq genommen, Tradition hin oder her. Und anstatt jetzt mit meinen Jagdbrüdern und den sechs Fässern Showi-Wein im Frauenzelt zu feiern, muss ich Dein Zelt bewachen.“

Er zog sie hart zu sich heran. Anan hatte keine Möglichkeit, auszuweichen, als er sie an seine schorfige Brust presste. Darum also hatte er selbst Wache gestanden. Er hatte diese langweilige Aufgabe keinem seiner Jagdbrüder übertragen wollen, die sich heute Nacht mit den Frauen der Jadeira vergnügten. Showi-Wein galt als Aphrodisiakum – falls er es nicht war, machte dieser süße, gewürzte Wein zumindest sehr schnell betrunken.

„Aber dennoch bin ich jetzt der Kowa‘ der Jadeira. Und jetzt werde ich mich vergnügen,“ grollte er, während er ihr den Arm auf den Rücken drehte und über sie stieg. Anan spürte einen brennenden Biss im Nacken und ihr eigenes, warmes Blut, dass ihr die Brüste hinab lief.

„NEIN!“ kreischte sie auf. Wild warf sie sich hin und her, versuchte, mit den Krallen an seinen Flanken zu reißen, doch ihr schmerzhaft auf den Rücken verdrehter Arm hinderte sie daran, sich herum zu werfen und ihm die Tatzen in den Bauch zu rammen. Trakra lachte nur. Schon flammte Schmerz in Anans Innerem auf – der Kowa‘ gehörte nicht zu den Männern, die lange zögern.

Ihre Schreie konnte man außerhalb des Zeltes wohl hören, aber das Gelächter und die Musik im Frauenzelt nebenan übertönten sie mit Leichtigkeit.


Autor: Susanne Meyers. Alle Rechte vorbehalten.

Veröffentlicht14. Juli 2020 von ZuMe in Kategorie "FvT", "Jadeira